Vera Felicitas Birkenbihl ist - wie man sagt - eine Legende. Die mit 65 Jahren verstorbene Autorin und Trainerin war mit ihrer eigenen Sendung im Fernsehen zu sehen und ihre Bücher »Birkenbihls Denkwerkzeuge« und »Stroh im Kopf« verkaufen sich noch heute gut. Weniger bekannt ist, dass sie sich in den 80ern mit Computerliteratur einen Namen gemacht hat.
Das 272 Seiten umfassende Buch »MacThink!« verspricht im Untertitel, die Intelligenz und Kreativität des Lesers mit einem Mac steigern zu können.
Das klingt abenteuerlich - nicht nur, weil man sich natürlich fragt, ob andere Computer nicht das gleiche können sollten. Aber das Buch ist von 1985 und Birkennbihl ist der Überzeugung, dass die grafische Benutzerschittstelle, die noch neu war, dem Anwender ermöglicht, in abstrakterer und dem menschlichen Denken angemessener Form zu arbeiten. Man könne damit mehr erreichen, als mit den Kommandozeilensystemen, die damals bei anderen Herstellern noch Stand der Technik waren. Dabei geht es ihr auch um die Arbeitsergebnisse, die nicht nur aus Buchstaben, Zahlen und Tabellen bestehen sollen. Stattdessen sollen unterschiedliche Schriften, Zeichnungen und Diagramme so verwendet werden, dass sie ihr volles Potential an Ausdrucksstärke entwickeln können. Ohne WYSIWYG und Freihandzeichnen mit der Maus erscheint ihr das kaum denkbar.
Birkenbihl macht, in der für sie später charakteristischen Art, Nägel mit Köpfen und liefert für alles, was sie erläutert, konkrete und anschauliche Beispiele. Nimmt man es genau, dann ist das gesamte Buch ein solches Beispiel. Es ist leicht als ein Produkt aus dem Macintosh zu erkennen: Die Schriften zeigen sichtbare Pixeltreppen und die Zeichnungen haben in gerasterten Flächen oft Streifen, die beim direkten Fotosatz oder Laserdruck nicht aufgetreten wären.
Nur das letzte Drittel des Buches befasst sich ausgiebig mit Tricks und Kniffen bei der Benutzung von konkrete Programmen. Kapitel eins bis sechs sind so allgemein gehalten, dass sie vielleicht auch heute noch umsetzbar sind. Obwohl zum Beispiel in der Zeit allgegenwärtiger Digitalkameras niemand mehr bemalte Folie zum Abzeichen auf seinen Monitor kleben würde.
Die zentrale Botschaft ist, die Fähigkeiten der rechten Gehirnhälfte zu nutzen und keine tausend Wörter zu schreiben, wenn sie durch ein einziges Bild vermittelt werden können. Wie man diesem Anspruch gerecht wird zeigt Birkenbihl im Verlauf an Beispielen aus verschiedensten Situationen. Dabei beschäftigt sie sich zuerst mit den grundlegenden Techniken, wie dem Zeichnen. Danach wendet sie diese Techniken zielgerichtet an, um Präsentationen und Formulare zu erstellen. Auch Konstruktions- und Wegbeschreibungen, ein Kinematikon sowie Raumpläne und Werbeanzeigen sind unter den Anwendungsbeispielen. Besonders gut werden Birkenbihls Kernbereiche illustriert: Lernen, Kreativität und Kommunikation.
Abwechslungsreich und kurzweilig liest sich dieses inspirierte und inspirierende Buch - wenn auch heute nicht mehr unbedingt bis zur letzten Seite: Die Programme, die im dritten Teil des Buches besprochen werden, sind heute weitgehend unbekannt. In jedem Fall ist das Buch zugleich eine Zeitreise zu den Ursprüngen des Desktop-Publishing, als das gedruckte Wort Gewicht hatte und bevor das Internet das Leben der Menschen beeinflusste.
Bitnacht Wertung: ☽☽☽☽✦ (vier von fünf Mondnächten)