Oh Captain, mein Captain

Es sah für mich nach einem Zufall aus. Als ich bei GetDigital die Seife bestellte, deren Umschlagpapier in freundlichen großen Buchstaben die Aufforderung „Make it Soap“ neben dem Konterfei von Patrick Steward trägt, wusste ich nicht, dass die Veröffentlichung der neuen Amazon Serie mit dem Titel „Star Trek: Picard“ unmittelbar bevorstand. Gestern konnte ich mir aber - mit nach Earl Grey (bzw. Bergamotte) riechenden Händen - die erste Episode in netter Gesellschaft ansehen.

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Ist das noch Star Trek?

Ich habe recht viel gesehen: fast alle Folgen der ersten Serie mit Nimoy und Shatner, die meisten Kinofilme und wohl über hundert Stunden aus TNG, Voyager, DSN und Enterprise. Trotzdem habe ich mich nie als Trekkie gesehen, oder besondere Begeisterung (oder gar Enttäuschung) empfunden, wenn mal wieder etwas Neues aus der von E. W. Roddenberry erdachten Welt auftauchte.

Tatsächlich mochte ich „Star Trek: The Next Generation“ damals zuerst nicht besonders und brauchte auch eine Weile, um mich an den eher ruhigen Mann mit dem guten Geschmack bei Heißgetränken zu gewöhnen. Aber wenn ich heute Stewart auf dem Bildschirm in seiner alten Rolle sehe, dann ist es, als träfe man einen alten Bekannten. 

Es gibt Szenen, in denen er wirkt, wie McKellen in seiner Rolle als alternder Sherlock Holmes, wenn er auf seinem Weingut aus dem Fenster schaut. Das Idyll trügt! Vielleicht ist „Star Trek: Picard“ verstörender, als die Serien der Vergangenheit, in denen man sich darauf verlassen konnte, dass am Ende der Episode die Bedrohungen abgewendet waren und die Reise des Sternenschiffs weitergehen konnte. 

Ich bin ganz allgemein nicht besonders begeistert von der Art, wie in den letzten zwanzig Jahren vermehrt Geschichten in Film und Fernsehen erzählt werden. „Picard“ folgt auffällig diesem Muster, bei dem eine überraschende Wendung oft wichtiger zu sein scheint, als innere Konsistenz oder Erzähltiefe. Im Gegensatz zur Prequel-Serie zum Jim Henson Meilenstein „Der dunkle Kristall“, bei der ich über den Terror, den die Macher in die ehemals Kindliche Welt  eingeführt haben, einfach nicht hinweg komme, bin ich bei „Picard“ demgegenüber aber weitaus toleranter. Einerseits sind es schon immer erwachsenere Themen gewesen, mit denen sich Serien und Filme beschäftigten, andererseits verzichtet die erste Episode zumindest auf beklemmende, aussichtslose Bilder und lässt den bekannten Figuren ihre Würde.

Tatsächlich finde ich die neue Serie sogar als angenehm und abwechslungsreich. Ich würde durchaus noch die eine oder andere Episode schauen wollen. Gerne hätte ich allerdings R. W. Wheaton in seiner Rolle als Wesley Crusher mit einem neuen Auftritt gesehen. Er wäre sicher eine Bereicherung gewesen. Insbesondere wenn man ihn zunächst als einen Gegenspieler auf Seite der Sternenflotte eingeführt hätte, der dann später erneut zum Schulterschluss mit seinem alten Captain kommt.

© Sven Mertens 2019