Die zweifelhafte Macht der Niedlichkeit

Niemand ist so glücklich wie der Finder. Ist das ein altes Sprichwort? Ich glaube nicht. Gemeint ist das breite Grinsen auf dem Icon des Dateimanagers beim Macintosh. Ein perfektes Beispiel für ein niedliches Ding in der digitalen Welt.

Die Mischung aus einem Picasso und dem Happy Mac Bildchen war Teil der Revolution, die die GUI in die Welt gebracht hat. Nicht alle mochten das.

Auf dem Amiga war beim Betriebssystem gleich ein Icon-Editor dabei und jeder User mit einem Hauch von Kreativer Energie hatte mindestens ein Piktogramm, das er sich selbst gemalt hatte. Aber auch die mitgelieferten Symbole hatten teilweise eine verspielte, menschliche Art, Technisches darzustellen. Beispielsweise war da ein Programm, das dafür sorgte, dass zuerst der schnelle Speicher verwendet wurde: FastMemFirst. Auf dessen Icon sprang ein Kaninchen über eine Schildkröte.

„Mülleimer gehören nicht auf den Schreibtisch“, riefen die Kritiker. Mancher spricht vielleicht von Skeuomorphismus, dabei sieht das Symbol für den Mülleimer nicht aus wie ein echter Mülleimer, sondern es ist deutlich stilisiert. Anders als beim Skeuomorphismus ist das Symbol nicht ungeachtet seiner Funktion gewählt, sondern im Gegenteil ist die Funktion das wichtigste Kriterium, nach dem das Symbol ausgewählt wird.

Dass ein Symbol aber niedlich ist. Dafür besteht doch keine Notwendigkeit, oder?

Auch der C64 hatte in GEOS Piktogramme, die nicht völlig nüchtern waren. Immerhin wirkten Tintenfass und Schreibfeder einer gewissen Weise noch professionell. Der Stiefel zum Booten … eher weniger.

Steht nun eine professionelle Atmosphäre im Widerspruch zu fröhlichen Farben, grinsenden Gesichtern und vielleicht sogar Blümchendekor? Wenn dem so wäre - ist es wirklich gut in einer nüchternen Umgebung zu arbeiten, oder wäre es für die Gesundheit sogar besser, wenn alles etwas weniger erwachsen daherkäme?

In manchen Situationen reagieren einige Menschen regelrecht allergisch auf „aufdringliche Fröhlichkeit“: Einer der größten Fehlschläge in der niedlichen Computerwelt kam von Microsoft. In der Hoffnung endlich einmal alles gut und richtig zu machen, verkauften sie zur falschen Zeit ein Produkt, das über das Ziel hinausgeschossen war: Microsoft BOB. Dabei wäre die Idee es wert gewesen, sie auch nach dem Scheitern von BOB weiter zu verfolgen. Vieles war gut: Ein topographischer Ansatz half sich zu erinnern, welche Programme wo zu finden sind, Vektorgrafik machte die Nutzerschnittstelle unabhängig von der Auflösung des Bildschirms und die Möglichkeiten zur Individualisierung förderten die Orientierung insgesamt. 

Im Juni dieses Jahres gab es sogar einen Artikel in der SFT zu BOB. Dort wird berichtet, dass es nur 30.000 Kopien von Microsoft BOB gab. Eine solche Packung ist also vielleicht ein begehrtes Sammlerstück. Heute kennen die meisten nur noch Karl Klammer (Clippy) als ein Überbleibsel aus dieser Ära (Chrome Plugin verfügbar). Außerdem ist natürlich die zu unrecht beliebte Schrift „Comic Sans“ mit diesem Softwarepaket entstanden.

Ähnlich amüsiert reagierte die Computerbranche damals auf Apples eWorld, in der E-Mail tatsächlich in einem kleinen virtuellen Postamt verschickt wurde. In diesem Fall war die Umsetzung aber auch deutlich weniger liebevoll gestaltet und viele dürften dem Dienst vermutlich nicht nachtrauern.

EWorld Main Screen

© Sven Mertens 2019